„Was habt ihr, das ihr nicht empfangen habt?“
Es reicht nicht aus, nur einen freien Willen zu haben, der sich frei in diese und jene Richtung wendet und zu den natürlichen Gaben gehört, die ein schlechter Mensch schlecht gebrauchen wird. Wir müssen auch einen guten Willen haben, der zu jenen Gaben gehört, die man unmöglich schlecht gebrauchen kann. Diese Unmöglichkeit ist uns von Gott gegeben; sonst wüsste ich nicht, wie ich das verteidigen sollte, was die Schrift sagt: „Was habt ihr, das ihr nicht empfangen habt?“ (1. Kor. 4,7) Denn wenn Gott uns einen freien Willen gibt, der dennoch entweder gut oder schlecht sein kann, wenn aber ein guter Wille aus uns selbst kommt, dann ist das, was aus uns selbst kommt, besser als das, was von Gott kommt! Es ist aber der Gipfel der Absurdität, dies zu behaupten. Die Pelagianer müssten also anerkennen, dass wir von Gott sogar einen guten Willen erhalten.
Es wäre in der Tat eine seltsame Sache, wenn der Wille in einem Niemandsland stehen könnte, wo er weder gut noch schlecht ist. Denn entweder lieben wir die Gerechtigkeit, dann ist er gut; und wenn wir sie mehr lieben, ist er besser. Wenn wir sie weniger lieben, ist der Wille weniger gut; oder wenn wir die Gerechtigkeit überhaupt nicht lieben, ist er gar nicht gut. Und wer kann zögern zu behaupten, dass, wenn der Wille die Gerechtigkeit in keiner Weise liebt, er nicht nur ein schlechter Wille ist, sondern sogar ein völlig verdorbener Wille? Da also der Wille entweder gut oder schlecht ist, und da wir den schlechten Willen natürlich nicht von Gott erhalten, bleibt es dabei, dass wir von Gott einen guten Willen erhalten. Sonst, da unsere Rechtfertigung von einem guten Willen ausgeht, wüsste ich nicht, über welche andere Gabe Gottes wir uns freuen sollten. Deshalb steht wohl auch geschrieben: „Der Wille ist vom Herrn bereitet“ (Spr. 8,35, Septuaginta). Und in den Psalmen: „Die Schritte eines Mannes werden vom Herrn recht geordnet, und sein Weg wird die Wahl seines Willens sein“ (Ps. 37,23). Und was der Apostel sagt: „Denn Gott ist es, der in euch wirkt, sowohl zu wollen als auch zu tun nach seinem Wohlgefallen“ (Phil. 2,13).
Augustinus in „On the Merits and Forgiveness of Sin, 2:30